WAS IST EIN TIKI COCKTAIL?
Zum Ende der amerikanischen Prohibition gab es eine Spirituose plötzlich im Überfluss: Rum. Als die US-Amerikaner endlich wieder selbst Whisky, Gin & Co frei herstellen und importieren durften, blieb der Zuckerrohrschnaps, der zuvor im Urlaub oder unter der Hand stark nachgefragt gewesen war, in seinen Fässern liegen und sein Preis verfiel. Dies nutzte Ernest Raymond Beaumont Gantt aus und konzipierte unter dem Pseudonym DONN BEACH ein Themenrestaurant in Hollywood, das in Einrichtung und Ambiente auf tropisches Südseefeeling getrimmt war. DON THE BEACHCOMBER wurde schnell zum Erfolg und anschließend zur Restaurantkette. Zu kantonesischen Gerichten wurden auch Mixed Drinks der Punch-Gattung mit Rum, Zitrussäften, Likören und Früchten, sogenannte "Rhum Rhapsodies", angeboten“.
IF YOU CAN’T GET TO PARADISE, I’LL BRING IT TO YOU!
(Werbe-Slogan von DON THE BEACHCOMBER)
Eine der ersten „Rhapsodien“ war eine Art ZOMBIE-Cocktail namens SUMATRA KULA, der schnell sehr beliebt und kopiert wurde. Zahlreiche Berühmtheiten wie z.B. Charlie Chaplin, Marlene Dietrich, Bing Crosby, Clark Gable und David Niven waren häufige Gäste im DON THE BEACHCOMBER. Diese gehörten wohl zu den ersten Genießern des Klassikers Q.B. COOLER, der Vorlage für den MAI TAI war, dessen Urheberschaft wiederum auch Victor J. Bergeron, Besitzer einer sehr ähnlichen Restaurantkette namens TRADER VIC’S, für sich beanspruchte. Jedenfalls bekam letzterer die Rechte für die Vermarktung des MAI TAI als Fertigprodukt.
WARUM TIKI?
Die Bezeichnung „TIKI“, die sich für solcherlei tropisch erblühende Fernweh-Gastronomie etablierte, kommt aus der Maori-Mythologie und ist der Name des ersten Menschen in dieser Sagenwelt. TIKI entwickelte sich zu einem Stilbegriff, der polynesische Ethno-Motive in kräftige Farben, umrahmt von Bambus, Palmblatt, Schirmchen und Obstschnitzen, bettet. Eine romantisch-folkloristische Kulisse für die Sehnsucht nach „dem Paradies“, das anscheinend in der ozeanischen Inselwelt des Südpazifiks bis nach Hawaii beheimatet ist.
TIKI POP
So richtig los ging es dann in den 1940ern und -50er Jahren, als diese Themenrestaurants sich vermehrten und der TIKI-STYLE auch Einzug in neutralere Bars, Hotels und sogar die Privathäuser Einzug hielt. Für das perfekte Ambiente wurden sogar eigene Trinkbecher für diese Cocktails entwickelt. Die TIKI-Becher bestehen oft aus glasierter Keramik mit Relief einer polynesischen Schnitzerei in kräftigen Farben – Ethnopop für Urlaubsromantik. Als Kontrast zur süßen Farbigkeit stellen diese Reliefs meist grimmig-düstere Fratzen dar, der Marterpfahl lässt grüßen. Der Dekostil ist bei genauerer Betrachtung ebenfalls ein Cocktail aus samoanisch-polynesich-karibisch-hawaianischen Elementen. Dies stellt auch ungefähr die stilistische Entwicklung der TIKI-KULTUR über die Jahrzehnte dar.
VOM POP ZU KLASSE?
Meist stark, bunt, würzig, süß und fruchtig entführen diese Rum-Drinks den Genießer vom ersten Schluck an in Urlaubsstimmung. Sie machen damit dem unbedarften Party-Cocktailgenuss alle Ehre, den anspruchsvolleren Barkeepern sind sie jedoch ein Dorn im Auge, denn von feinen Aromen hochwertiger Spirituosen ist unter bis zu 15 Zutaten, inklusive mehreren aus dem Saft- und Sirupregal, nicht mehr viel zu schmecken. Neu ist hierbei eine Rückbesinnung auf die Wurzeln und eine bewusste Reduzierung der Zusammenstellung, so dass der Rum mit seinen Aromen wieder erschmeckbar bleibt. Der Stammbaum des TIKI-Cocktail wird so vielleicht um einen neuen Zweig der ernsthafteren PURE REVERSE-TIKIS erweitert. Wir dürfen gespannt sein.
